Kolummne

Kolummne in einer örtlichen Presse
“Der Schorse aus Langerfeld”

Dieses sind die Geschichten zu allmorgendlichen Gedanken von Einem, der in seinem Stadtteil mit offenen Augen durch die Gegend ging. Und dieses niederschrieb, um die geneigte Leserschaft zu unterhalten.

Schorse ist übrigens dort, wo er einst geboren wurde, die umgangssprachliche Nennung des Vornamens, der viele Könige zierte und im Volksmunde liebevoll eben Schorse gerufen wurde. Doch auch der Ausdruck “Mein lieber Schorse, ich helf´ dir gleich” trug die Bedeutung der zarten Androhung von körperlicher Gewalt. Doch lesen sie hier, was es im “Dorf Langerfeld” so zu bemerken gab und gibt.

Die Geschichten ergänze ich nach und nach. Es gilt wie immer die Regel “Wo ein Link ist, ist auch ein Weg.”

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Schorse
  2. Sperrmüll
  3. Radfahrer
  4. Hundehaufen
  5. Bäckerschlange
  6. Mauer
  7. Knall
  8. Falschparker
  9. Hut
  10. Denkmal
  11. Gier
  12. Moin
  13. Verkehrsberuhigung
  14. Eisdiele
  15. Gerüchteküche
  16. DDR-Brötchen

Schorses Nach(t)gedanken

Mein Gehirn arbeitet nachts am besten. Das ist insofern etwas dumm, weil ich dann ja schlafe. Es wäre sicherlich wesentlich besser organisiert, wenn ich nächstens meinen Brägen abgeschaltet lassen könnte und dafür tagsüber mehr Hirnkapazität nutzen könnte. Meinem Arbeitgeber tät das sicherlich sehr gefallen. Aber weil der liebe Gott das bei mir so eingerichtet hat, denkt die Hirnmasse in meinem Kopf eben sehr gern über dies und jenes nach, während ich schlafe.

Das hört sich für Außenstehende schlimm an, ist es aber nicht. Wenn ich nämlich am Morgen schlaftrunken in mein Badezimmer wanke und darauf warte, dass mir jemand den überlebenswichtigen Kaffee reicht, kommen mir die ersten Ideen. Diese präsentiert mir mein Nachtschicht geschobenes Gehirn als Allererstes. Das ist wie früher in der Schule, Sie kennen das. Da haben Sie über die Frage des unterrichtenden Menschen an der Tafel gerade mal fertig nachgedacht und heben langsam und noch während sie ihre Worte ausformulieren den Aufzeigefinger in die Luft und *zack* hat die blöde Streberin aus der ersten Reihe schon geantwortet. So ist es bei mir am frühen Morgen. Also so in mir drin. Da bin ich gerade erst in der Lage, für meine erleichternden Bedürfnisse zu sorgen und *zack* brüllen mich die ersten Lösungen auf die gestrigen Fragen an, ohne dass ich sie überhaupt erneut gestellt hätte.

Nun gut, Sie fragen sich, was haben jetzt mein persönliches Gehirn und seine nächtlichen Aktivitäten mit dem Langerfelder Dorfblatt zu tun? Schließlich beherrscht Corona die Tagesthemen und so ein einzelnes Gehirn kann da eigentlich doch völlig vernachlässigt werden. Ich will Ihnen die Antwort dazu mal behutsam vorstellen. Kommen Sie mal ein bisschen näher ran, weil ich nicht ganz so laut schreiben will. Ja, schon ein wenig näher, aber natürlich im Sicherheitsabstand. Gut so, das reicht. Ich muss jetzt flüsternd schreiben, damit die anderen Zeitungen und Nachrichtensendungen das jetzt nicht hören oder lesen. Also, … es … gibt … noch … andere … Themen … als … Corona!

Das ist ein Knaller, was? Es gibt sie tatsächlich, diese kleinen sensationellen und widerlichen Aufreger, die völlig Corona-frei weiterhin ihr Unwesen treiben. Und genau hier komme dann ich. Also in der nächsten Ausgabe des Langerfelder Dorfblatts. In unserem „Dorf“ gibt es nämlich so viele lustige Begebenheiten, die einer vernünftigen Satire genügend Futter geben. Futter für eben solch ein Gehirn, das nachts arbeitet, während in Langerfeld weitgehend alles schläft und lediglich das eine oder andere illegale Autorennen unten Richtung Fleute stattfindet. Oder wenn sich die betrunkenen jungen Menschen nicht mit ihren Flaschen (oder war es umgekehrt) durchs Dorf nach Hause trauen, sondern erst einmal den langen Umweg durch die Langerfelder Anlagen (ja, so nannte sie tatsächlich ein fachlich berufener Waldbediensteter) von der Beyeröhde Richtung Neues Viertel machen müssen. Wobei diese traditionell und vermutlich in Ausübung eines verwirrten Kults regelmäßig die Gedenksteine des Denkmals am Ende der Wilhelm-Hedtmann-Str. mit geistigen Flüssigkeiten aus Flaschen und Körperöffnungen rituell taufen. Das muss gewürdigt werden und ich danke dem Himmel für den netten Unbekannten, der jeden Vormittag das Denkmal wieder reinigt. Dem würde ich gern mal ein Denkmal setzen. Wobei da vermutlich auch nur jemand in Unkenntnis der Würdigung gegen pinkeln würde. Wo war ich jetzt? Ach ja, unser Dorf.

Ja, hier ist viel los im „Dörfchen Langerfeld“. So wird es also die eine oder andere Merkwürdigkeit an dieser Stelle zu lesen geben. Freuen Sie sich also auf weitere Ausgaben. Wenn Sie selbst gern einen Stein des (Denk-)Anstoßes liefern möchten, dann verpacken sie diesen hübsch und senden ihn digital an redaktion@langerfelder-dorfblatt.de.

Ihr Schorse aus Langerfeld, nicht verwandt und nicht verschwägert mit Dörte aus Heckinghausen

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Schorses Nach(t)gedanken – Sperrmüll

Heute früh sprach mich im Badezimmer mein Hirn an. „Hömma Schorse“ sinnierte es laut in meinem Kopf, „hast du dich mal gefragt, wie das hier in Langerfeld eigentlich mit dem Sperrmüll so abgeht?“ Da muss ich meiner Denkbeule doch glatt Recht geben. Normal ist das ja nicht, was hier an einem der scheinbar höchsten Feiertage unseres Dorfes so los ist.

Ich weiß ja nicht, ob Sie ein Sperrmüll rausstellender Mensch oder ein Sperrmüll schauender Mitbürger sind. Aber diese Mengen, die da gefühlt Monat für Monat an der Straße stehen, sind schon gewaltig. Haben Sie einmal bewusst an den Sperrmülltagen versucht, die Gehwege zu benutzen? Das ist nahezu unmöglich, weil zwischen den parkenden Autos am Straßenrand und den Häusern noch nicht einmal mehr Platz für die traditionellen morgendlichen Hundehaufen ist. Im Slalom gehen Sie zwischen den Fahrzeugen auf die Straße und wieder auf den Gehsteig zurück, nur um nicht von den langsam fahrenden Transportern der Sperrmüllmafia überfahren zu werden.

Ich bewundere und wundere mich ja über unsere Müllabfuhr. Dass die Mitarbeitenden tatsächlich jeden völlig unsortierten Haufen Sperrgut in die Knackerwagen verfrachten, grenzt schon an eine milde Tat der Barmherzigkeit. Die riesigen Haufen sind derart lieblos und gefährlich aufeinander geworfen, dass ich häufig an meine letzte Scheidung erinnert werde, wo meine Sachen durch die Fenster auf die Straße geflogen sind. Aber das ist ein anderes Thema.

Was mir allerdings auffällt, ist die schlichte Tatsache der größten Sperrmüllhaufen vor immer den gleichen Langerfelder Häusern. Früh am Morgen, wenn ich noch vor 6 Uhr zur Arbeit fahre, lagern die Abfälle bis zu den Fensterbänken im Erdgeschoss hoch übereinander. Vor eben immer den gleichen Hausnummern der alten Mehrfamilienhäuser. Nun könnte man mathematisch anführen, dass in einem Wohnhaus mit acht Mietparteien schließlich auch aus jeder der Wohnungen wechselnd acht Sperrmülltermine bedient werden könnten. Doch wenn man wie ich seit Jahren jeden Tag die gleiche Strecke zur Besichtigung der Anhäufungen fährt, dann regt das schon zum Nachdenken an.

Nun weiß ich aus sicherer Quelle, dass es in Langerfeld auch Vermieter gibt, die mit säumigen Zahlern von Mieten recht kurzen Prozess machen. Da wird in Abwesenheit des Mieters irgendwann kurzerhand der Wohnungsinhalt zum Abfuhrtermin an die Straße gestellt, das Türschloss ausgetauscht und die Wohnung neu vermietet. Doch das ist wohl eher die Ausnahme und ein Fall für unsere Dorfgendarmerie. Vielmehr könnte man anhand der unglaublichen Mengen an Mobiliar auf der Straße darüber nachdenken, dass es den Langerfelder Bürgerinnen und Bürgern richtig gut geht. Die Möbelhäuser in Langerfeld und Nächstebreck scheinen so herausragend günstige Angebote zu haben, dass es Langerfeldern stets möglich ist, sich alle paar Monate eine neue Einrichtung zu gönnen. Das zeugt doch wahrhaftig von einer guten Lebens- und vor allen Dingen Vermögensqualität in unserem „Dorf“. Frei nach dem Motto „Alles neu macht der Mai (oder jeder andere beliebig einsetzbare Monat)“ schafft sich der gemeine Langerfelder offenbar mehrfach im Jahr Platz für seine Neuanschaffungen. Es bleibt dabei die Hoffnung übrig, dass auch unsere dorfansässigen Malerbetriebe ein Stück vom Renovierungskuchen genießen dürfen.

So kann ich also beruhigt auf den nächsten Langerfelder Sperrmüllfeiertag schauen. Die unendlichen Stapel an alten Hinterlassenschaften sind keineswegs ein Ausdruck des asozialen Verhaltens, sondern vielmehr Zeichen des Langerfelder Wohlstands! Mit Freude werde ich künftig den Müllabfuhrbediensteten zuwinken, während sie ihre schweißtreibende Arbeit verrichten und das in die Presse wuchten, was noch vor kurzem die Möbelhäuser wirtschaftlich unterstützt hat. Man muss eben auch mal positiv denken.

In diesem Sinne ein fröhliches „Happy Entrümpel-Day“ auch für Sie

Ihr Schorse aus Langerfeld, der jetzt mal eben kurz mit der Liebsten über neue Möbel spricht.

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Schorses Nach(t)gedanken – Radfahrer

Heute früh weckte mich mein Gehirn mit der Frage aller Fragen, wie es eigentlich in Langerfeld um die Radwege bestellt ist. „Hömma Schorse“, sprach mein Brägen mich an, während ich noch schlaftrunken unter der warmen Bettdecke lag, „weißt du eigentlich, warum in Langerfeld die Radfahrer immer auf dem Gehweg fahren?“ Diese Frage hatte ich mir auch schon gestellt und das kam so.

Vor dem letzten Schraubrunter, neudeutsch „Lockdown“ genannt, hatten die Liebste und ich einen Tisch im Restaurant unseres Vertrauens in der Großstadt Barmen reserviert. Weil es dort in der näheren Umgebung wenige Parkplätze gibt und die beste Ehefrau von allen meinte, ich dürfe auch ruhig mal ein frisch gezapftes Bierchen in meinen Körper einfüllen, war der Plan geschaffen, mit dem Bus zu reisen. Nun muss ich dazu sagen, dass mir der liebe Gott sicherlich nicht den Führerschein gegönnt hätte, wenn er gewollt hätte, dass ich öffentliche Verkehrsmittel nutze. Ich bin der geborene Autofahrer und meine Beine sind nur dazu an meine Hüften gebaut worden, damit sie mich zum Fahrzeug bewegen. Busse sind für mich äußerlich faszinierend, im Innenraum jedoch der Ausbund der Hölle an stickiger Luft und stinkenden Menschen um mich herum. An jenem Abend jedoch standen wir mit einem befreundeten Pärchen an der Haltestelle Langerfelder Markt und freuten uns auf gutes Essen und Trinken. In dieser fröhlichen Vorfreude erwischte mich rüdes Klingeln, verbunden mit dem Gefühl, von einem Bus gestreift worden zu sein. Hinterrücks wurde ich von drei Radfahrern beiseite genötigt, die offensichtlich von der Langerfelder Straße aus bergab mit hoher Geschwindigkeit bei Rot die Ampel an der Spitzenstraße überquert hatten und nun bergauf in die Schwelmer Straße den linksseitigen Gehweg für sich in Anspruch nehmen wollten. Erschreckt brüllte ich den letzten aller Radfahrenden an, dass hier ein Fußweg sei. Den Stinkefinger zeigend rief dieser mir beim Davonfahren zu, dass er genau dieses wisse.

Nun mögen die geneigten Leser argumentieren, ein tragischer Einzelfall würde mich hier erwischt haben. Doch leider haben meine Erlebnisse in den vergangenen Wochen gezeigt, wie sehr sich Rad fahrende Mitbürger und Mitbürgerinnen gerade im Bereich Langerfelder Straße und Schwelmer Straße wie die Wildsäue im Kartoffelacker benehmen. Ab Badischer Straße abwärts und bis zum Getränkemarkt in der Schwelmer Straße herrscht auf den Gehwegen mehr rollender Verkehr als Füße den Boden berühren. Natürlich bin ich als Stänkerer bekannt, wie meine Liebste immer zärtlich zu mir sagt. Ich spreche die Verkehrsrüpel an, wenn sie mich rüde beiseite klingeln. Die Worte, die mir daraufhin an den Kopf geworfen werden, möchte ich hier lieber nicht wiedergeben. Gewalt sei keine Lösung, wurde mir als Kind schon gelehrt. Doch manchmal hege ich die Fantasie, den widerrechtlich Agieren im wahrsten Sinne des Wortes Knüppel zwischen die Beine zu werfen, um ihnen eine schöne Asphaltflechte ins Gesicht zu zaubern, die sie als Andenken an ihr Fehlverhalten mit nach Haus tragen dürften. Doch Selbstjustiz ist in unserem Land und auch im Langerfelder Dörfchen verboten. So bliebe nur die Meldung an unsere Dorfgendarmerie. Doch leider haben Fahrräder noch kein amtliches Kennzeichen, das eine Ahndung möglich machen würde. Was bleibt, ist nur der zivile Widerstand, den ich kürzlich beim Dorftratsch mit einer Bekannten vor einer unserer Apotheken genüsslich üben konnte.

Auf das heftige Klingeln und das laute „Platz da!“ haben wir einfach nicht reagiert. Oder sagen wir besser, wir haben von unserem Recht Gebrauch gemacht und die schweren Einkaufstaschen einfach mal in Armeslänge auf den Gehweg abgestellt. Fluchend kam das sportliche Menschlein in knapp sitzenden Radlerhosen und verkehrsunsicherem Rad (weil keine sichtbare Beleuchtungseinrichtung angebracht war) vor uns zum Stehen. Die Bekannte ich und ich grinsten uns an und sprachen „Na, geht doch!“, während wir uns abklatschten. Der Verkehrswidrige hob zu einer Belehrung über unser grobes Verhalten an, das wir jedoch lässig durch Fortführung unseres Klatschgesprächs ignorierten.

Es ist eine echte Seuche, die uns da in unserem friedlichen Dorf erreicht hat. Vielleicht braucht es einen Radweg im Bereich des Langerfelder Markts. Möglich wäre aber auch eine aus der Ampel schießende und mit einem Boxhandschuh gefütterte Faust, die bei Rot die Straße querende Radfahrer zum Stehen bringt. Kreative Vorschläge sind immer herzlich willkommen. Wenden Sie sich doch einfach vertrauensvoll an Ihre Politiker vor Ort, die Dorfgendarmierie oder

Ihren Schorse aus Langerfeld, der jetzt sein Fahrrad putzen geht.

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Mittelalter

Mittelalter

Carsten (CeKaDo) Koch

Ach Murat, da wo du herkommst, herrscht ja noch dunkelstes Mittelalter. Unsere Kultur war dir bestimmt fremd, als deine Eltern dich hierhergebracht haben, oder? Ich kann dir aber sagen, selbst in unserem, ach so zivilisierten Land, gibt es noch immer Typen, die lieber im Mittelalter leben und Rituale vollziehen, bei denen dir schlecht wird. Obwohl, du bist ja eine ziemlich harte Type, wie ich sehe.

Murat, willst du wissen, warum ich hier mit dir rede? Wegen der Sache mit dem Mittelalter, könnte ich sagen. Weil meine Ex-Frau nicht begriffen hat, dass wir in der Neuzeit leben. Darum sitze ich hier bei dir, wir trinken deinen türkischen Kaffee und will dir meine Geschichte erzählen.

Murat, weißt du, was Liebe ist? Du nickst wissend. Ich kann dir davon berichten, was ich als Liebe erfahren habe. Liebe tut weh, endet immer im Chaos und lohnt sich nicht, wenn man ein friedliches Leben haben will. Lass die Finger von der Liebe, das kann ich dir nur raten. Als ich mich damals in meine Frau verliebte, war ich tief in meinem Inneren schon sicher, dass es eine gewaltige Portion Wahnsinn war, die da auf mich zukommen sollte. Sie war klein, blond, hatte lange Haare und qualmte am Tag zwei Schachteln Zigaretten weg. Ich war dunkelhaarig, groß gewachsen und Nichtraucher. Aber wenn die Liebe auf einen Misthaufen fällt, wachsen auch da zarte Pflanzen des Vergessens. So wurden wir ein Paar und heirateten sogar, obwohl mir eine innere Stimme vor dem Altar flüsterte, ich solle jetzt einfach abhauen und so weit laufen, wie mich meine Füße tragen.

Hätte ich damals lieber auf Gottes Stimme gehört und getan, was zu tun ist. Aber nein, ich war blind. Die Beziehung wurde gewaltsam, Murat, du kennst das bestimmt aus deinem Heimatland. Da schlagen Männer schon mal auf offener Straße ihre Frauen, wenn die nicht parieren. Hier bekam ich Prügel, wenn ich nicht funktionierte, allerdings immer hinter verschlossenen Türen. Weichei nennst du mich? Ich gebe es zu, ich war nicht in der Lage, eine Frau zu schlagen. Auch als sie mir das Messer quer durch mein Gesicht zog, wehrte ich mich nur schwach und stieß sie von mir. Die Narbe kannst du hier noch sehen. Sie ging zum Arzt und zeigte mich wegen Misshandlung an. Das war meine erste Verhandlung vor Gericht als Beschuldigter. Da hast du als Mann schlechte Karten, das kannst du glauben. Geldbuße statt Haft bekam ich auch nur, weil ich noch ein unbeschriebenes Blatt war. Die Alte lief jedoch jetzt richtig Amok, fühlte sie sich doch durch das Urteil noch bestärkt.

Sie kam auf den esoterischen Trip, glaubte plötzlich an Tarot, Engelkarten und Hexenkult. Sie eröffnete einen Laden mit Räucherstäbchen, Hexenpuppen, Beschwörungsbüchern und Teufelsfratzen, ging regelmäßig zu einer Wahrsagerin und begann selbst, einsame und frustrierte Frauen mit Weissagungen aller Art über´s Ohr zu hauen. Du glaubst nicht, wie dumm die Menschen sind, wenn da jemand qualmend vor ihnen sitzt, mit wichtiger Stimme spricht und das Blaue vom Himmel lügt. Inzwischen bezeichnete sie sich offiziell als Hexe, rauchte vier Schachteln am Tag und hatte sich die Haare rot gefärbt. Ich verließ sie,zog wieder ein und trennte mich nach einem weiteren Gewaltexzess, sowie zwei ungewollten Kindern endgültig von ihr. Während sie mich noch verfluchte, zog ich viele hundert Kilometer weit weg. Sie demolierte alles, was ich nicht schnell genug vor ihr rettete, verschenkte an meine Freunde Hexenbretter, gab die Kinder ins Heim und erzählte Lügen über mich, wo sie nur konnte.

Mir fiel der Neuanfang schwer, ich war arbeitslos und konnte ihrer Unterhaltsklage nichts entgegen setzen. Murat, bist du geschieden? Auch, du Ärmster. Dann kennst du die Sache mit dem Unterhalt, das blutet dich aus, wenn du so dumm warst und während der Ehe gearbeitet hast. Sie verklagte mich, sie gewann, rothaarig, nach Qualm stinkend und mit grellem Blick den Richter bestechend. Obwohl ich mit nichts, außer meinen Kleidern am Leibe aus der Wohnung ausgezogen war, von minimalem Arbeitslosengeld lebt und nicht wusste, wo ich morgen das Essen hernehmen sollte, wurde ich zu horrenden Zahlungen an die selbst ernannte Hexe verurteilt. Ich konnte nichts leisten, wurde wieder verklagt, sollte inhaftiert werden und wusste eines Tages nicht mehr ein noch aus. Sie startete ihre Rufmordkampagne an meinem neuen Wohnort, log, was die Balken ihres Hauses hergaben, während ich mir nicht einmal einen weiteren Umzug leisten konnte, um ihr zu entkommen. Überall wo ich  war und sie erschien, um mich fertig zu machen, blieb hinter mir verbrannte Erde zurück.

Ja, Murat, du hast Recht. Solch eine böse Hexe findest du eigentlich nur noch in Märchenbüchern und Geschichten aus dem Mittelalter. Sie blutete mich aus, als ich einen Job fand und sie das gewahr wurde. Ich durfte immerhin weiter arbeiten, Überstunden machen und ihr mein gesamtes Geld in den gierigen Rachen schieben. Mir blieb nicht viel, um zu Fuß zur Arbeit zu kommen und mich halbwegs zu ernähren. Jedes Jahr verklagte sie mich aufs Neue, rief wöchentlich meinen Arbeitgeber an und verlangte jede Lohnbescheinigung. Mein stummer Hass stieg ins Unermessliche. Ich finanzierte mit meinem Unterhalt ihre fünf Schachteln schwere Zigaretten am Tag, die sie in ihrem widerlichen Lügenschlund verqualmte. Schwarzarbeit konnte ich ihr nicht nachweisen, denn welches Gericht würde schon die Tätigkeitsbezeichnung „Hexe“ anerkennen? Du nickst? Du kennst dich damit aus, nicht wahr?

Murat, als meine Mutter starb, hinterließ sie mir einen winzigen Geldbetrag. Gerade genug, um sie würdig unter die Erde zu bringen und um mir eine Fahrkarte bis vor das luxuriöse Haus dieses ekelhaften Weibes zu kaufen, das mich mein Leben lang weiter verfolgen würde. Für die letzten 10 Euro aus meiner Brieftasche tankte ich einen Kanister Benzin an der Dorftankstelle bis zum Rand voll. An das, was danach kam, kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Der verwilderte Vorgarten, das offene Fenster, der Zigarettenrauch, das Schild „Anerkannte Hexe“ neben der Haustür und der Schatten auf dem breiten Brett, die brennende Zigarette im stinkenden Maul unter den roten Haaren. Der Gestank nach Räucherstäbchen und Geschlechtsverkehr, der haarige Arsch des fetten Dorfmetzgers noch halb auf ihr. Die schlaffen Brüste der Alten. Bei ihrem Anblick musste ich mich übergeben, Murat.  

Ich weiß nur, dass das halbe Dorf am Feuer stand, bevor die Feuerwehr eintraf. Die Männer in den Uniformen waren fast alle volltrunken, sie hatten Schützenfest zu feiern und wenig Lust, in dieser Nacht noch zu arbeiten. Als sie von den Schaulustigen erfuhren, dass die Alte noch im Haus war, rollten sie besonders langsam ihre Schläuche aus. Beliebt war sie bei keinem der Männer. Hatte sie doch den Dorfschönheiten und Frauen so einige dreckige Flöhe über weibliche Hexenmacht ins Ohr gesetzt. Als neugierig die Mitglieder des Spielmannszuges eintrafen, um zu schauen, was da los ist, konnte selbst der mit Blaulicht und Martinshorn anfahrende halbtrunkene Dorfpolizist nicht mehr verhindern, dass um das brennende Haus herum zur fröhlichen Blasmusik getanzt wurde. Die Flammen schlugen inzwischen nur noch in den Himmel, wenn das Feuer wieder irgendwelche Essenzen erreichte. Die schwere Hand des Polizisten legte sich auf meine Schulter und er nahm mir beinahe sanft den Benzinkanister ab. Damit verhinderte er gerade noch, dass ich barfuß durch die glühende Räucherkohle in den Trümmern laufen würde, um das rituelle, reinigende Feuer zu genießen.

Hexen müssen verbrannt werden, sagte man im Mittelalter und heute noch in deinem Land, nicht wahr?

Murat, es ist Essenszeit, ich höre den Wärter kommen. Sag mal, warum bist du eigentlich hier?

Familie Sale erobert die Welt

1. Platz Open Wort-Café Bochum am 02.02.2012 – Carsten (CeKaDo) Koch

Familie Sale erobert die Welt

Niemand außer mir scheint es bemerkt zu haben. Seit einiger Zeit wird unsere Wirtschaft von der Familie Sale unterwandert. Ein großes, dunkles Geheimnis wabert über diesem Namen. Denn niemand scheint die Gefahr ernst zu nehmen, die nur ich erkenne. Offenbar über Nacht tauchten erst in den Bekleidungsgeschäften der großen Handelsketten fast schüchtern erste Hinweise auf den späteren Eroberungsschlag auf. Ausgerechnet mitten im Sommerschlussverkauf übernahm der Familienclan zunächst die einschlägigen Modegeschäfte. Niemand außer mir achtete darauf, als an den ersten Kleiderständern neben den üblichen Prozentzeichen ein kleines rotes Schild mit der Aufschrift “Sale” aufgestellt wurde.

Warum diese groß angelegte Übernahme aller Innenstadtgeschäfte unserer Stadt so harmlos und vorsichtig begann, werden wohl nur die Werbestrategen der Sale-Familie wissen. Wer ist Sale? Wo kommen sie her? Und warum zum Teufel bemerkt niemand, was da gerade mit uns passiert. Ich habe über einen langen Zeitraum intensive Recherchen unternommen, um dieser nahezu unheimlichen Übernahme aller Geschäfte in Deutschland auf den Grund zu kommen. Einzig die Dönerbuden an jeder zweiten Ecke dieses Landes sind von der Besitzerergreifung durch die Sale-Familie noch ausgenommen. Noch! Ich vermutete, dass meine Suche mich nach Italien führen würde. Hinein in das Land der Mafiosi und Bestechungen. Doch weit gefehlt, es kam viel schlimmer.

Mein erster Weg führte ins Internet. Tippen sie doch mal bei Google den Begriff “Sale” ein. Sie erleben binnen Sekundenbruchteilen den gesamten gemeinen Anschlag auf diese Welt durch die Familie Sale. Innerhalb von 0,23 Sekunden wirft Google 750 Millionen Suchergebnisse zu “Sale” aus. 750 Millionen offene Übernahmen weltweit. Filtern Sie mit Klick auf “Seiten auf Deutsch” alle ausländischen Übernahmen weg, dann bleiben allein für Deutschland 154 Millionen Sale-Eroberungen festgestellt. Da wir in unserem Land momentan knapp 81,8 Millionen Einwohner beherbergen, entsteht so die erschreckende Erkenntnis, dass die Sales inzwischen jeden Einwohner und jeden Gewerbebetrieb Deutschlands fest in ihren gierigen Händen halten. Und niemand scheint es zu bemerken. Oder wissen Sie sich etwa von den Sales ferngesteuert?

Meinen vorsichtigen Ermittlungen zur Folge gliedert sich der Sale-Clan in der Hauptsache durch die Gebrüder Sale. Haben sie anfangs, wie oben bereits erwähnt, nur vorsichtig den Namen “Sale” als Kennzeichnung an Kleiderständern angebracht, so sind inzwischen deutlich die Unterscheidungen der Territorien verschiedener Brüder Sale zu erkennen. Es begann damit, dass an den Schaufensterscheiben der übernommenen Geschäfte plötzlich neben den rotweißen Namensschildern “Sale” der Vorname des ältesten Bruders und Familienführers Total prangte. “Total Sale” wurde bekannt dafür, dass er ganze Läden räumen ließ und dafür Rabatte bis zu 70 Prozent versprach. Noch heute ist klar, wo Total Sale den Betrieb übernimmt, steht hinterher kein Regal mehr auf dem anderen. Inwieweit total auch für die erste deutsche „50 Prozent auf alles, außer Tiernahrung“ und die damit verbundene Insolvenz einer großen Heimwerkermarktkette verantwortlich ist, blieb bisher unerklärt.

Total setzt als Druckmittel, wenn eine Übernahme zwecks Räumung am Widerstand der Geschäftsinhaber scheitert, gern und häufig die Brüder “Winter Sale” und Summer Sale” ein. Diese beiden schlitzohrigen Gesellen schleichen sich als angebliche Geschäftsberater in die Betriebe ein und sorgen sozusagen von innen heraus für eine Auflösung durch Schleuderpreise. Oft bemerken die heimischen Kaufleute viel zu spät, dass “Total Sale” bereits das Ruder fest in der Hand hat und den Laden in den Ruin treibt. Das Ergebnis ist gewaltig: Fleece-Jacke = Sale, Top = Sale, Pumps = Sale, Kinderjacke = Sale, Nachthemd = Sale, Sale Mode und Sale Wohnaccessoires. Sale, Sale, überall. Wo man heute auch hinschaut, Sale hat die Geschäftswelt fest im Griff. Ging meine Liebste früher zu “Charme und Anmut” oder zu “Hager und Mager”, geht sie heute zu Sale. Allerdings weiß ich nie, ob es der Sale an der Ecke oder in der nächsten Stadt ist. Denn Sale ist überall.

Gestern ist mir ein erstes Zeichen des jüngsten Mitglieds des Sale-Clans begegnet und das hat mir Angst gemacht. Am Haushaltswarengeschäft gegenüber prangte im Schaufenster der dicke rote Aufkleber “Super Sale”. Darunter stand “Alles muss raus!” Super Sale ist der Endschlag gegen die Wirtschaft in diesem Lande. “Alles muss raus”. Mir ist klar, was die Sales wollen. Sie wollen das Land für sich allein.

Verzweifelt habe ich mich an unsere Zeitung gewandt. Ich erklärte ihnen, wie es um die Sales steht und was uns allen droht, wenn diese Familie ihr grauenhaftes Treiben weiterhin ungeschoren fortführen kann. Der Redakteur hatte mich erst ernst angehört und dann ausgelacht. Er meinte, ich wäre da einem großen Irrtum aufgesessen. “Sale” würde “ße-il” gesprochen und bedeute das englische Wort für “Verkauf”. Alles wäre ganz harmlos und erklärbar. Aber warum sollte ein Verkäufer etwas in englischer Sprache verkaufen wollen, was sich vorher schon gut auch in Deutsch verkaufte? Ein seltsames Rätsel ist das. Betrübt trottete ich also vorhin heimwärts, noch ganz in Gedanken. Plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz, als ich die Zeitung aus dem Briefkasten am Straßenrand holte. Auf der Titelseite prangt eine großformatige Anzeige mit dem Hinweis auf “Sale” im Innenteil. Ich wusste es, auch die Zeitungsleute sind schon infiltriert.

Während ich noch von den Mülltonnen zum Hauseingang unseres Wohnblocks Richtung Haustür wankte, blieb ich beim Anblick eines Schildes wie geschlagen stehen. “Super Sale” stand da über einem Schriftzug im Fenster der leeren Erdgeschoßwohnung. Darunter ein “Zu verkaufen” und eine Makleradresse. Vor unserer Haustür. Super Sale hat zugeschlagen. Alles muss raus! Alle müssen raus! Ich muss raus!