Mittelalter
Carsten (CeKaDo) Koch
Ach
Murat, da wo du herkommst, herrscht ja noch dunkelstes Mittelalter. Unsere
Kultur war dir bestimmt fremd, als deine Eltern dich hierhergebracht haben,
oder? Ich kann dir aber sagen, selbst in unserem, ach so zivilisierten Land,
gibt es noch immer Typen, die lieber im Mittelalter leben und Rituale
vollziehen, bei denen dir schlecht wird. Obwohl, du bist ja eine ziemlich harte
Type, wie ich sehe.
Murat,
willst du wissen, warum ich hier mit dir rede? Wegen der Sache mit dem
Mittelalter, könnte ich sagen. Weil meine Ex-Frau nicht begriffen hat, dass wir
in der Neuzeit leben. Darum sitze ich hier bei dir, wir trinken deinen
türkischen Kaffee und will dir meine Geschichte erzählen.
Murat,
weißt du, was Liebe ist? Du nickst wissend. Ich kann dir davon berichten, was
ich als Liebe erfahren habe. Liebe tut weh, endet immer im Chaos und lohnt sich
nicht, wenn man ein friedliches Leben haben will. Lass die Finger von der
Liebe, das kann ich dir nur raten. Als ich mich damals in meine Frau verliebte,
war ich tief in meinem Inneren schon sicher, dass es eine gewaltige Portion Wahnsinn
war, die da auf mich zukommen sollte. Sie war klein, blond, hatte lange Haare
und qualmte am Tag zwei Schachteln Zigaretten weg. Ich war dunkelhaarig, groß
gewachsen und Nichtraucher. Aber wenn die Liebe auf einen Misthaufen fällt,
wachsen auch da zarte Pflanzen des Vergessens. So wurden wir ein Paar und
heirateten sogar, obwohl mir eine innere Stimme vor dem Altar flüsterte, ich
solle jetzt einfach abhauen und so weit laufen, wie mich meine Füße tragen.
Hätte
ich damals lieber auf Gottes Stimme gehört und getan, was zu tun ist. Aber
nein, ich war blind. Die Beziehung wurde gewaltsam, Murat, du kennst das
bestimmt aus deinem Heimatland. Da schlagen Männer schon mal auf offener Straße
ihre Frauen, wenn die nicht parieren. Hier bekam ich Prügel, wenn ich nicht
funktionierte, allerdings immer hinter verschlossenen Türen. Weichei nennst du
mich? Ich gebe es zu, ich war nicht in der Lage, eine Frau zu schlagen. Auch
als sie mir das Messer quer durch mein Gesicht zog, wehrte ich mich nur schwach
und stieß sie von mir. Die Narbe kannst du hier noch sehen. Sie ging zum Arzt
und zeigte mich wegen Misshandlung an. Das war meine erste Verhandlung vor
Gericht als Beschuldigter. Da hast du als Mann schlechte Karten, das kannst du
glauben. Geldbuße statt Haft bekam ich auch nur, weil ich noch ein
unbeschriebenes Blatt war. Die Alte lief jedoch jetzt richtig Amok, fühlte sie
sich doch durch das Urteil noch bestärkt.
Sie
kam auf den esoterischen Trip, glaubte plötzlich an Tarot, Engelkarten und
Hexenkult. Sie eröffnete einen Laden mit Räucherstäbchen, Hexenpuppen, Beschwörungsbüchern
und Teufelsfratzen, ging regelmäßig zu einer Wahrsagerin und begann selbst,
einsame und frustrierte Frauen mit Weissagungen aller Art über´s Ohr zu hauen. Du
glaubst nicht, wie dumm die Menschen sind, wenn da jemand qualmend vor ihnen sitzt,
mit wichtiger Stimme spricht und das Blaue vom Himmel lügt. Inzwischen
bezeichnete sie sich offiziell als Hexe, rauchte vier Schachteln am Tag und
hatte sich die Haare rot gefärbt. Ich verließ sie,zog wieder ein und trennte
mich nach einem weiteren Gewaltexzess, sowie zwei ungewollten Kindern endgültig
von ihr. Während sie mich noch verfluchte, zog ich viele hundert Kilometer weit
weg. Sie demolierte alles, was ich nicht schnell genug vor ihr rettete,
verschenkte an meine Freunde Hexenbretter, gab die Kinder ins Heim und erzählte
Lügen über mich, wo sie nur konnte.
Mir
fiel der Neuanfang schwer, ich war arbeitslos und konnte ihrer Unterhaltsklage
nichts entgegen setzen. Murat, bist du geschieden? Auch, du Ärmster. Dann
kennst du die Sache mit dem Unterhalt, das blutet dich aus, wenn du so dumm
warst und während der Ehe gearbeitet hast. Sie verklagte mich, sie gewann,
rothaarig, nach Qualm stinkend und mit grellem Blick den Richter bestechend.
Obwohl ich mit nichts, außer meinen Kleidern am Leibe aus der Wohnung
ausgezogen war, von minimalem Arbeitslosengeld lebt und nicht wusste, wo ich
morgen das Essen hernehmen sollte, wurde ich zu horrenden Zahlungen an die selbst
ernannte Hexe verurteilt. Ich konnte nichts leisten, wurde wieder verklagt,
sollte inhaftiert werden und wusste eines Tages nicht mehr ein noch aus. Sie
startete ihre Rufmordkampagne an meinem neuen Wohnort, log, was die Balken
ihres Hauses hergaben, während ich mir nicht einmal einen weiteren Umzug
leisten konnte, um ihr zu entkommen. Überall wo ich war und sie erschien, um mich fertig zu
machen, blieb hinter mir verbrannte Erde zurück.
Ja,
Murat, du hast Recht. Solch eine böse Hexe findest du eigentlich nur noch in Märchenbüchern
und Geschichten aus dem Mittelalter. Sie blutete mich aus, als ich einen Job
fand und sie das gewahr wurde. Ich durfte immerhin weiter arbeiten, Überstunden
machen und ihr mein gesamtes Geld in den gierigen Rachen schieben. Mir blieb
nicht viel, um zu Fuß zur Arbeit zu kommen und mich halbwegs zu ernähren. Jedes
Jahr verklagte sie mich aufs Neue, rief wöchentlich meinen Arbeitgeber an und
verlangte jede Lohnbescheinigung. Mein stummer Hass stieg ins Unermessliche.
Ich finanzierte mit meinem Unterhalt ihre fünf Schachteln schwere Zigaretten am
Tag, die sie in ihrem widerlichen Lügenschlund verqualmte. Schwarzarbeit konnte
ich ihr nicht nachweisen, denn welches Gericht würde schon die Tätigkeitsbezeichnung
„Hexe“ anerkennen? Du nickst? Du kennst dich damit aus, nicht wahr?
Murat,
als meine Mutter starb, hinterließ sie mir einen winzigen Geldbetrag. Gerade
genug, um sie würdig unter die Erde zu bringen und um mir eine Fahrkarte bis vor
das luxuriöse Haus dieses ekelhaften Weibes zu kaufen, das mich mein Leben lang
weiter verfolgen würde. Für die letzten 10 Euro aus meiner Brieftasche tankte
ich einen Kanister Benzin an der Dorftankstelle bis zum Rand voll. An das, was
danach kam, kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Der verwilderte Vorgarten,
das offene Fenster, der Zigarettenrauch, das Schild „Anerkannte Hexe“ neben der
Haustür und der Schatten auf dem breiten Brett, die brennende Zigarette im
stinkenden Maul unter den roten Haaren. Der Gestank nach Räucherstäbchen und
Geschlechtsverkehr, der haarige Arsch des fetten Dorfmetzgers noch halb auf ihr.
Die schlaffen Brüste der Alten. Bei ihrem Anblick musste ich mich übergeben,
Murat.
Ich
weiß nur, dass das halbe Dorf am Feuer stand, bevor die Feuerwehr eintraf. Die
Männer in den Uniformen waren fast alle volltrunken, sie hatten Schützenfest zu
feiern und wenig Lust, in dieser Nacht noch zu arbeiten. Als sie von den Schaulustigen
erfuhren, dass die Alte noch im Haus war, rollten sie besonders langsam ihre Schläuche
aus. Beliebt war sie bei keinem der Männer. Hatte sie doch den Dorfschönheiten
und Frauen so einige dreckige Flöhe über weibliche Hexenmacht ins Ohr gesetzt.
Als neugierig die Mitglieder des Spielmannszuges eintrafen, um zu schauen, was
da los ist, konnte selbst der mit Blaulicht und Martinshorn anfahrende halbtrunkene
Dorfpolizist nicht mehr verhindern, dass um das brennende Haus herum zur fröhlichen
Blasmusik getanzt wurde. Die Flammen schlugen inzwischen nur noch in den
Himmel, wenn das Feuer wieder irgendwelche Essenzen erreichte. Die schwere Hand
des Polizisten legte sich auf meine Schulter und er nahm mir beinahe sanft den
Benzinkanister ab. Damit verhinderte er gerade noch, dass ich barfuß durch die
glühende Räucherkohle in den Trümmern laufen würde, um das rituelle, reinigende
Feuer zu genießen.
Hexen
müssen verbrannt werden, sagte man im Mittelalter und heute noch in deinem
Land, nicht wahr?
Murat,
es ist Essenszeit, ich höre den Wärter kommen. Sag mal, warum bist du
eigentlich hier?